Autor: © Reinhold Wulff

An der historischen Grenze zwischen den Königreichen Dänemark und Schweden liegend nutzt die Stadt Kalmar das Jubiläum der nach ihr benannten Union zur Selbstdarstellung im ganzen Norden. Aber einte die Kalmarer Union die nordeuropäischen Völker?

Dänemark ist stolz auf seine Legende der ältesten Monarchie der Welt und trauert so manches Mal seinem verblichenen Großmachtstatus nach: 1397 vereinte man in Personalunion die Kronen Dänemarks, Norwegens und Schweden-Finnlands unter dänischer Vorherrschaft und noch bis zum Dreißigjährigen Krieg blieb man europäische Großmacht. Mit dem Verkauf der westindischen Inselkolonien an die USA 1917, der Unabhängigkeit Islands 1944 ist der letzte Glanz geographischer Herrschaft verschwunden, geblieben sind die autonomen, dem Königreich noch zugehörigen Atlantikinseln Grönland und die Färöer.

Schweden andererseits feiert Gustav I. Vasa und die unter seiner Führung erfolgte Loslösung von der Kalmarer Union und dänischer Knechtschaft, ist stolz auf die durch Gustav II. Adolf erkämpfte Großmachtposition im Verlauf des Dreißigjährigen und früherer und folgender Kriege. Wie für Schweden ist für Norwegen die Erinnerung an die Zeit des gemeinsamen Union unter dänischer Herrschaft eine eher schmerzhafte, bedeutete diese Union doch den ersten Schritt zum Verlust der gleichberechtigten Existenz im Verbund des Königreichs Dänemark-Norwegen. Für Finnland wiederum ist Kalmar geographisch und historisch weit weg - staatliche Souveränität erlangte man erst 1917. Wie kommt man dann auf die Idee, das Jubiläum der Kalmarer Union zum gemeinsamen Nachdenken über den Nordismus zum Anlaß zu nehmen, Kalmar gar zur Hauptstadt des Nordens zu erheben? Schließlich war Kalmar auch Namensgeberin für kriegerische Auseinandersetzungen im Norden, in blutigste Erinnerung prägte sich dabei der Kalmarer Krieg von 1610 zwischen Dänemark und Schweden ein.

In welchem Glanz der "Nordischen Union" kann man sich denn 600 Jahre später grenzübergreifend in Skandinavien sonnen? Wie kam es zu diesem Zusammenschluß?

Es ist hier nicht der Platz, die umfangreiche geschichtswissenschaftliche Debatte um das Zustandekommen der Kalmarer Union, die in Kalmar verhandelten und unterzeichneten Papiere und deren Rechtsgültigkeit einzugehen, nur eine knappe Skizze soll hier folgen.

Nicht nur im nordeuropäischen Mittelalter spielte dynastische, Heirats- und Erbschaftspolitik eine wichtige Rolle im Machtspiel der Länder. Für den Norden Europas entstand dabei Ende des 14. Jahrhunderts eine heikle, aber auch chancenreiche Kombination von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Königshäusern. Waldemar IV. Atterdag, der die dänische Machtposition im Ostseeraum gegen die Hansestädte zunächst erfolgreich hatte ausbauen können, starb 1375 und hinterließ zwei Töchter: Ingeborg war mit Heinrich III. von Mecklenburg verheiratet, deren Sohn Albrecht von Mecklenburg war noch von Waldemar zu seinem Nachfolger auserkoren worden. Die Tochter Margrethe hingegen war mit Håkon VI. Magnusson vermählt, der als Sohn des schwedisch-norwegischen Königs Magnus Eriksson 1355 König in Norwegen geworden war. Margrethe gelang es nun nach dem Tod ihres Vaters, beim dänischen Adel ihren Sohn Olav als Thronfolger durchzusetzen. Dieser, 1370 geboren, wurde mit sechs Jahren 1376 zum dänischen, 1380 auch zum norwegischen König erwählt, bevor er jedoch sein königliches Amt antreten konnte, starb Olav mit erst 17 Jahren und die Nachfolgefrage mußte erneut geklärt werden. In Schweden hingegen regierte seit 1364 Olavs Onkel Albrecht (II. - nicht der Albrecht von oben, der Neffe von diesem war) von Mecklenburg. Wieder standen die in Nordeuropa maßgeblichen politischen Kräfte, insbesondere Margrethe, die Mecklenburger, der dänisch-norwegische sowie schwedische Adel und "die" Hanse vor schwierigen strategischen Entscheidungen. Margrethe nutzte das drohende Machtvakuum im Norden geschickt und ließ sich in Dänemark (1375), Norwegen (1380) und Schweden (1388) als Regentin huldigen. Für die Hansestädte, die im Stralsunder Frieden von 1370 ihren großen militärischen Sieg über Waldemar Atterdag sich hatten bestätigen lassen und dort u.a. das Mitspracherecht bei der Thronnachfolge in Dänemark zugesprochen bekommen hatten, war die Lage kompliziert: Sollten sie Margrethes Pläne unterstützen und den von ihnen auserkorenen Großneffen, den sie aus Erbfolgegründen adoptiert hatte, zum König über alle drei Reiche krönen lassen? Damit hätte der Hanse ein vereintes nordisches Imperium gegenübergestanden, daß der Hanse eventuell ihre Privilegien beschneiden würde. Noch ungünstiger mußten die wendischen Hansestädte jedoch die mögliche Machtentfaltung des Mecklenburgers sehen - denn als König von Schweden und Herzog von Mecklenburg hätten sie in dem unmittelbaren Landesherrn einiger Hansestädte auf beiden Seiten der Ostsee einen starken Gegner. Man entschied sich von hansischer Seite für das kleinere Übel und ließ Margrethe freie Hand in ihren Plänen. Sie versammelte 1397 zu Kalmar geistliche und adlige Würdenträger aus Dänemark, Norwegen und Schweden und ließ dort Erik von Pommern zum König aller drei Reiche wählen.

Während dieses Wahlergebnis eindeutig belegt und protokolliert wurde, ist eine zweite Entscheidung der Kalmarer Versammlung, in der es um die Ausgestaltung der Pflichten und Rechte innerhalb dieses durch Personalunion verbundenen nordeuropäischen Großreichs ging, hinsichtlich ihres Rechtscharakters umstritten. Formale Aspekte sprechen gegen eine einvernehmlich erfolgte Lösung des Verhältnisses der drei Reiche zueinander. Und damit sind wir wieder beim Jubiläumsanlaß.

Tatsächlich vereinten sich in der Kalmarer Union nicht drei Länder unter einer gemeinsamen Losung mit gemeinsamen Zielen, noch weniger handelte es sich um eine gleichberechtigte Gemeinschaft. Margrethe, die de facto noch bis zu ihrem Tode 1412 das Zepter in ihren Händen hielt, war in erster Linie auf das wirtschaftlich und kulturell am weitesten entwickelte Land, nämlich Dänemark, orientiert und widmete den anderen Reichen weniger Aufmerksamkeit. Der Adel, der kaum "national" dachte, da seine Güter und seine Familienbande grenzüberschreitend in allen Ländern zu finden waren, war trotzdem kein einigendes Band, da seine politischen Rechte in Dänemark-Norwegen bzw. Schweden-Finnland sehr unterschiedlich waren. Insbesondere in Schweden regte sich schon bald in bäuerlichen, bürgerlichen und (vor allem klein-)adligen Kreisen schon bald Opposition gegen die Herrschaftsgewalt aus Dänemark. Bis zur endgültigen Lösung von Dänemark 1523 kam es so zu regelmäßigen Aufständen gegen die dänische Statthalterschaft.

Schließlich sollte nicht vergessen werden: Kaum zwei andere Länder in Europa haben miteinander häufiger im Krieg gelegen als Dänemark und Schweden! Man mag sich als neutraler kontinentaler Europäer fragen, wie denn ausgerechnet die Union von Kalmar zum Anlaß für ein gesamtnordisches Jubiläum genommen werden konnte, und insbesondere, warum gerade in Schweden, wo während der Unionszeit nichts wichtiger gewesen zu sein scheint, als dieser Union das Wasser abzugraben, dieses Jubiläum besonders herausgestellt wird und zum Nachdenken über eine "nordische Identität" führen soll. Die folgenden Beiträgen können diese Frage vielleicht beantworten..

Autorennotiz: Dr. Reinhold Wulff ist Chefredakteur des NORDEUROPAforum und Akademischer Rat für nordeuropäische Geschichte an der HU Berlin