© Reinhold Wulff, Berlin

30 Jahre Krieg in Europa - die Bürgerkriege in den ehemaligen Staaten Jugoslawien und UdSSR haben uns in unmittelbaren Nachbarschaft erneut gezeigt, welches Leid Kriege ins Land bringen. Wie sieht es mit der historischen Aufarbeitung nordeuropäischen Engagements im Dreißigjährigen Krieg aus?

Mit dem Eingreifen zunächst Dänemarks und dann auch Schwedens in die kriegerischen Verwicklungen auf deutschem Territorium im 17. Jahrhundert rücken diese beiden, damals noch bzw. werdenden, nordeuropäischen Großmächte in den Blickwinkel deutscher Menschen, aber auch mitteleuropäischer Geschichtswissenschaftler. Das beginnt schon mit den Zeitgenossen des Dreißigjährigen Krieges Bogislaff Philip von Chemnitz und Samuel Pufendorf, die in offiziösem Auftrag unmittelbar nach Kriegsschluß wissenschaftliche Abhandlungen zum Kriegsverlauf publizierten. Beide Autoren standen in schwedischen Diensten, der Stettiner von Chmjenitz war seit 1644 schwedischer Reichshistoriograph und arbeitete in unmittelbarer Nähe des Reichskanzlers Axel Oxenstierna, von Pufendorf löste ihn als Historiograph 1677 ab. Die Darlegung der Kriegsereignisse ist bei beiden deshalb verständlicherweise aus schwedischer Sicht gefärbt, aber der reichlich mit Quellenzeugnissen untermauerte Text von Chemnitz' in vier Teilen, aber auch Pufendorfs 26 Bücher bieten auch dem heutigen, um Objektivität bemühten Wissenschaftler reichlich Informationsmaterial. Die Bemühungen beider Autoren werden neben etwa 140 anderen (und zusätzlich zwanzig Dichtern) von Sverker Oredsson in seiner Monographie zu "Geschichtsschreibung und Kult" vorgestellt.


Sverker Oredsson
Geschichtsschreibung und Kult. Gustav Adolf, Schweden und der Dreißigjährige Krieg
Aus dem Schwedischen von Klaus R. Böhme
Berlin: Duncker & Humblot, 1994
320 S., DM 148,--


Diese im Original 1992 in Lund erschiene Untersuchung betrachtet alle, vor allem in Deutschland und Schweden, aber auch in England, Frankreich u.a. Ländern veröffentlichtet Literatur zum Epochenereignis in Mitteleuropa. Der Autor geht chronologisch vor, unterscheidet für jedes Jahrhundert die deutschen, schwedischen und sonstigen Stimmen und analysiert diese in ihrer Beurteilung der Motive und Ziele für das Eingreifen Gustav Adolfs in den deutschen Konflikt. Nicht überraschend kommt er dabei zu dem Ergebnis, daß nicht so sehr die nationale Zugehörigkeit eines Wissenschaftlers seine Interpretation bestimmt, sondern vielmehr die Zugehörigkeit zum protestantischen oder katholischen Glaubensbekenntnis. Seit dem 19. Jahrhundert zunehmend findet sich dann auch die dritte Gruppe der pazifistisch orientierten Autoren.

In der sehr klar strukturierten Arbeit stellt Oredsson zunächst elf in der Literatur zu findende Gründe für das schwedische Eingreifen in den Krieg zusammen, die ihm als Richtschnur für seine Wiedergabe der verschiedenen Positionen dienen. In der Anlage 4 ordnet er dann zusammenfassend alle behandelten Wissenschaftler diesen elf Erklärungsmustern zu. Quantitativ ergibt sich dann, daß die Punkte "Verteidigung des Protestantismus", "Verteidigung des eigenen Landes" sowie "Es war ein Eroberungskrieg" (ohne das diese Interpretation in jedem Fall den negativen Beigeschmack haben mußte, den sie heute hat) am häufigsten als Motive genannt werden. Erst seit dem 19. Jahrhundert werden auch wirtschaftliche Gründe sowie die Eroberungslust der feudalen schwedischen Oberschicht als Gründe genannt.

Insgesamt faßt Oredsson den Inhalt von etwa 200 Publikationen zusammen - eine imponierende Fleißarbeit, die jahrelanges Recherchieren und Exzerpieren voraussetzt. Und bei dem Lesenden eine unglaubliche Geduld! Ich habe mich - mit zugegeben nachlassendem Interesse - durch all die Inhaltsangaben durchbeißen müssen. Natürlich überwiegt im Text die indirekte Rede, das Zitieren, der Gebrauch des Konjunktivs - diese durch den Ansatz der Arbeit vorgegebene Form wird dann noch erschwert durch eine steife, an einigen Stellen mit Schwedizismen durchsetzte Übersetzung. Sicherlich handelt es sich hier um ein glänzend geeignetes Nachschlagewerk, das durch die Zusammenfassungen und die Anlagen (Chronologie, das schwedische Kriegsmanifest, Die behandelten Verfasser und deren Stellungnahmen) sowie die Register (Verfasser, deren werke behandelt werden, andere Personen) hervorragend zu erschließen ist. Als Monographie zum Lesen von vorne bis hinten jedoch hat es seinen Zweck wohl verfehlt. Es ist zu unfangreich - die in der Historischen Zeitschrift von Werner Buchholz 1987 veröffentlichte Übersicht zur deutschen und schwedischen Historiographie vermittelt auf knapperem Raum ebenfalls einen Überblick über die wichtigste Literatur.

Wie man eine Forschungsübersicht anders (und besser) an die Frau und den Mann bringen kann, beweist zudem Johannes Burkhardt.


Johannes Burkhardt
Der Dreißigjährige Krieg
Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, 1992
es 1542, NF 542, Neue Historische Bibliothek
308 S., DM 16,--


In der Vorbemerkung fragt der Autor selbst: "Noch ein Buch zum Dreißigjährigen Krieg?", denn "über die ... Verwicklungen dieser 30 Jahre sind ... inzwischen weit mehr Einzelheiten ermittelt worden als auch von den historisch Interessierten die meisten werden wissen wollen." Er begründet die Wahl seines Themas dann damit, daß "der Dreißigjährige Krieg geradezu zu einem Laboratorium der neuzeitlichen Friedensproblematik" werden kann. Burckhardt stellt sich also eine inhaltliche Untersuchungsaufgabe, der er anhand der zu interpretierenden Forschungsliteratur, aber auch durch neuen Blick auf bereits bekannte Quellen nachgehen will. Schweden und die Frage, ob die Schweden besonders kriegslustig waren, steht dabei durchaus zunächst im Vordergrund. Denn schließlich führte Schweden zwischen 1521 und 1814 48 Krieg, 154 Kriegsjahre in dieser Periode stehen nur 139 Friedensjahre gegenüber.

Für Burkhardt steht die Problematik von Krieg und frieden im Vordergrund, entsprechend orientiert er auch seine Gliederung. Verschiedene Interpretationen des Kriegsgrundes und seiner Funktionen werden vorgestellt und der Dreißigjährige Krieg als "Krieg der Kriege" problematisiert. Im zweiten Hauptteil wird anhand der Bedingungen in einzelnen Ländern untersucht, in welcher Abhängigkeit Kriegs- und Friedenspolitik von der Organisation der frühmodernen Staatlichkeit abhingen. In einem umfangreichen Kapitel wird hier auch Schwedens Position analysiert. Der dritte Teil fragt nach der Bedeutung der Religion, des Handel und anderer kriegstreibender Kontaminierungen der Staatswerdung. in allen Abschnitten setzt sich Burckhardt gründlich mit der Forschungsliteratur auseinander, präsentiert diese auch, gegliedert nach Kapitelzugehörigkeiten, in seinem über zehn Seiten umfangreichen Literaturverzeichnis. Da hier - im Gegensatz zu der Darstellung bei Oredsson - die Literatur immer im Bezug zu einer eigenen Argumentationskette gesetzt wird, wirkt dieser Band nie langweilig, sondern aufgrund seiner Thesenentwicklung und Fragestellung in manchen Absätzen spannend und auch aktuelle politische Entwicklungen erhellend.


Bernd Roeck (Hg.)
Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Band 4: Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555 - 1648
Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1996
UB 17004
437 S., DM 18,--


Wer nach so viel indirekter Beschreibung in trockener, wissenschaftlicher Fachsprache originale Zeugnisse lesen möchte, dem sei der vierte Band der von Reclam auf elf Bände geplanten Quellensammlung zur Deutschen Geschichte empfohlen. Über sechzig Quellen werden hier, meist in Auszügen, präsentiert, ergänzt durch ein knappes Glossar heute ungebräuchlicher Ausdrücke und eine Zeittafel - , leider, leider fehlt hier aber ein Register, Orte und Personen lassen sich so nur von dem eingeweihten Lesenden finden, zumal die Titelangaben der Quellen im Inhaltsverzeichnis sehr knapp gehalten sind. Wer weiß denn, daß der "Allianzvertrag von Den Haag" (ohne Jahreszahl im Inhaltsverzeichnis) der Bündnisvertrag zwischen England, den Niederlanden und Dänemark von 1625 ist? Wohl nur, die schon bewandert in der Geschichte des 17. Jahrhunderts sind. da auch die Einleitung zum Band nur kurz ist, eignet sich diese Ausgabe vor allem zum Hintergrundstudium, zur anschaulichen Ergänzung von wissenschaftlichen Darstellungen. Sozialen und wirtschaftlichen Fragen wird zwar weniger Raum gegeben als den religiösen und militärischen Auseinandersetzungen, aber sie wurden nicht vergessen. Auch Dänemark und Schweden werden angemessen berücksichtigt, auch wenn sie im Inhaltsverzeichnis direkt nie direkt auftauchen.

Wenn in diesem anschaulichen Band etwas fehlt, dann ist es der Aspekt der Medien, der Propaganda, der Flugschriften, die hier nur gestreift werden. zum Glück liegt zu diesem Aspekt der modernen Kriegführung im Zeitalter der Glaubenskriege eine Monographie vor.


Maria Pfeffer
Flugschriften zum Dreißigjährigen Krieg
Aus der Häberlin-sammlung der Thurn- und Taxisschen Hofbibliothek
Frankfurt/M.: Peter Lang, 1993
185 S., 26 Faksimiles, DM 65,--


Die Autorin legt in ihrem schmalen Bändchen zunächst eine knappe, aber präzise Einführung in den Forschungsstand zu den Flugschriften der frühen Neuzeit und stellt dann die Schriften aus der Häberlin-Sammlung vor, einer im 18. Jahrhundert zusammengestellten und erst für die hier anzuzeigende Monographie vollständig erfaßter und ausgewerteter Schatz von fast zweitausend Druckschriften aus der Vorgeschichte und der Verlaufsphase des Dreißigjährigen Krieges. Für Nordeuropa sind insbesondere die Flugblätter zu Gustav Adolf interessant, die zum überwiegenden Teil aus dem protestantischen Lager stammen und den schwedischen König in positivem Licht erscheinen lassen. Einige der Flugblätter sind im Faksimileanhang wiedergegeben und geben ein anschauliches Bild der graphischen und typographischen Mühe, die man sich damals mit diesen Blättern gemacht hat. Leider wird der Augenschmaus für den heutigen Betrachter durch die starken Verkleinerungen sehr getrübt.

1982, zum 350. Jahrestags des Todes von Gustav Adolf auf dem schlachtfeld von Lützen wurden die beiden umfangreichen Monographien zu diesem vuielleicht bedeutendsten schwdischen König von Barudio und Berner publiziert. Seit dem haben sich nur wenige erneut mit dem Leben des oft "der Große" genannten Monarchen beschäftigt. Auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich ist zur Zeit nur die dickleibige Untersuchung von Marcus Junkelmann.


Marcus Junkelmann
Gustav Adolf
Schwedens Aufstieg zur Großmacht
Regensburg: Friedrich Pustet, 1993
495 S., DM 59,--


Junkelmann, von Haus aus Historiker mit der Spezialisierung auf Militärgeschichte, setzt sich in seinem gründlichen Buch zunächst - sehr knapp - mit der Litertaurlage auseinander, wendet sich dabei sehr kritisch gegen Barudios Verklärung des schwedischen Königs, dem er ein "souveränes Desinteresse an sozialen, wirtschaftlichen und militärischen Fragestellungen" vorwirft. Gerade dem letzten Aspekt widmet sich Junkelmann sehr ausführlich, die einzelnen schlachten werden minitiös beschrieben, die innovatorischen Leistungen Gustav Adolfs gewürdigt. Die Kapitel "Der Militärstaat" und "Waffentechnik und Taktik" erstrecken sich immerhin auf einhundert Seiten, einem Fünftel des Buches. Und in den folgenden Abschnitten stehen die militärischen Ereignisse ebenfalls im Mittelpunkt. Aber trotzdem kann dem Autor keine Berufsblindheit vorgeworfen werden, denn Verfassungs- und soziale Fragen werden von ihm durchaus behandelt.

Ein Manko in dem Text ist die manchmal etwas umständliche Sprache, die den Lesefluß genauso stört wie die Zwischenüberschriften der einzelnen Kapitel, die den Text in sehr kleine Häppchen teilen (und manchmal zum Inhalt des Absatzes nicht so recht passen). Insgesamt ist das Buch länger, als es sein müßte, Kürzungen hätten ihm gutgetan. Augelockert wird es lediglich durch die zahlreichen und gut gewählten Abbildungen, die mit sehr ausführlichen Bildkommentaren versehen sind. weiter findet sich eine ausführliche Chronologie, ein umfassendes Literaturverzeichnis und ein Orts- und Personenregister sowie eine große Karte zum Ostseeraum. Wenn ich selbst auch die Biographie von Barudio spannender und anregender finde, so ist dieser Band doch durchaus nützlich, die vielen Zwischenüberschriften ermöglichen es schließlich auch, sich nur das jeweils Interessante herauszupicken.

Ein schmales Bänchen gilt es noch vorzustellen, das für die schnelle Orientierung über Gustav adolf und seine Verwickelung in den Dreißigjährigen Krieg nützlich sein könnte.


Johannes Paul
Gustav Adolf. Christ und Held
Göttingen: Muster-Schmidt, 1964
98 S., DM 18,80


der Konjunktiv jedoch ist berechtigt. Johannes Paul publizierte 1927 bis 1932 mit seinem dreibändigen werk die bis heute umfangreichste deutsche Biographie über Gustav Adolf. Obwohl noch vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten geschrieben, atmet diese Veröffentlichung schon deutlich den Geist des Nationalismus, wenn nicht gar Faschismus. Paul, der als Greifswalder Professor dem Nationalsozialismus nahe stand und schließlich in Göttingen wieder Geschichtsprofessor wurde, betont in schwülstigen worten die germanische stammesverwandtschaft von Schwden und deutschen. Auch in seinem Bändchen von 1964 spürt man noch den Hauch der Feldzüge - nicht des Dreißigjährigen Krieges, sondern des näher liegenden Zweiten Weltkriegs. So heißt ein Kapitel "Der Russenkrieg", Schweens Generäle drängten immer mehr zur "Blitzkriegführung", während Polens "hinterhältige Politiker damit gerechnet hatten, in das von den Russen eroberte Livland als willkommene Berfreier einrücken" zu können und die aufgrund ihres alten, nationalen Hasses "gegen alles Deutsche ... lieber einen Krieg verlieen als sich von Deutschen retten lassen" wollten. Während schon Gustav Vasa ein "landesväterliches Regiment" aufbaute und Schweden unter Gustav adolf die Wacht an der Ostsee übernahm, hetztebn fanatische Priester die deutsche Bevölkerung auf und rückte "Tilly sengend und brennend über die Grenze". Bei Den Berichten über die schwdische Kriegsführung handelt es sich dann entsprechend um "Schauermärchen von schwedischen Grausamkeiten", denn "der Krieg ernährte sich witgehend selbst" (!) und die "schwedischen Soldaten (schwelgten) ... in bisher unbekannten Genüssen wie Weizengebäck und Wein."

Nun ist dieser Band zwar bereits vor über dreißig Jahren veröffentlicht worden, aber innerhalb der renommierten Reihe Persönlichkeit und Geschichte ist er noch heute auf dem Markt - dieser Band sollte von jenem unverzüglich genommen werden!