© Reinhold Wulff, Berlin

Die Persönlichkeit Willy Brandts dominiert das Bild des deutschsprachigen Exils in Nordeuropa so sehr, daß andere Akteure dahinter oft verschwinden und vergessen werden.

Der durch zahlreiche Monographien und Aufsätze zum Exil in Skandinavien ausgewiesene Historiker Einhart Lorenz hat nun in einer kürzlich erschienenen Untersuchung die Zusammensetzung und die Aktivitäten der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) analysiert, für die Willy Brandt als Emissär zunächst in Norwegen und dann in Schweden tätig war.


Einhart Lorenz
Mehr als Willy Brandt
Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) im skandinavischen Exil
Frankfurt/M. etc.: Peter Lang, 1977
257 S., DM 79,--


Lorenz stellt die Aktivitäten der in Kopenhagen, Oslo, Stockholm (sowie einigen kleineren skandinavischen Städten) im Exil lebenden SAP-Vertreterinnen und Vertreter vor und weist auf ihre Kontakte untereinander, zur Auslands-Zentrale der SAP sowie zu den Arbeiterbewegungen in Nordeuropa hin. Die SAP, die sich in Deutschland als Abgrenzung von der moskauhörigen KPD und dem Komintern-Zusammenschluß sowie der revisionistischen Politik der SPD gegründet hatte, konnte in Deutschland keinen großen Wahlerfolg mehr erzielen, entwickelte sich im Exil aber trotzdem zu einem wichtigen Kristallisationspunkt der politischen Arbeit und Debatte. Dazu trug sicherlich die Qualität der sich im Exil befindenden Persönlichkeiten (neben Willy Brandt z.B. August und Irmgard Enderle in Stockholm) und die, zumindest in Norwegen, geglückte Kontaktaufnahme mit den Arbeiterparteien im Norden bei.

Lorenz stellt das Personal der Auslandsgruppen vor, beschreibt die politischen und journalistischen Tätigkeiten sowie die ideologischen und persönlichen Konflikte und Rivalitäten untereinander. Hier wertet Lorenz ein sehr verstreut liegendes, aber erstaunlich reichhaltiges und aussagekräftiges Quellenmaterial aus. Allein die Masse des vorliegenden Archivmaterials zeugt von den umfassenden Aktivitäten der Exulanten, deren Gesamtzahl in Norwegen nur zwischen drei und 24 Personen, in Schweden maximal 25 und in Dänemark nur kurzfristig knapp mehr als einem Dutzend betrug. (Neben diesen Zahlen hätte ich mir an dieser Stelle in der Monographie eine Übersichtstabelle mit allen bekannten Exulantennamen gewünscht.)

Die Kontakte mit den skandinavischen Partnern wird ausführlich geschildert, wobei sich für Norwegen die Irrfahrt zwischen Intellektuellengruppen, Trotzkisten und der Arbeiterpartei nachvollziehen läßt, während für Dänemark und Schweden deutlich wird, daß hier die Suche nach einem geeigneten Kontakt schwieriger und langwieriger war, eben "ein sehr trübes Kapitel". Bei diesen Kontaktversuchen spielte natürlich auch die Position anderer Exilgruppen in Nordeuropa eine Rolle. Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Trotzkisten und dann die Aktivitäten im Rahmen der Einheitsfront- und Volksfront-Initiativen werden von Lorenz dokumentiert. Schließlich orientierten sich die SAP-Mitglieder - unter maßgeblicher Initiative Brandts - hin zu den sozialdemokratischen Parteien, was letztendlich zum Ende des Experiments SAP führte.

Abschließend betrachtet Lorenz die Position der Exulanten zur Rückkehr nach Deutschland und weist auf die Schwierigkeiten der Remigration, aber auch der Assimilierung im Gastland hin.

Einhart Lorenz hat mit dieser Monographie eine wichtige Ergänzung zu den bisherigen Forschungsergebnissen im Exil, insbesondere in Norwegen und Schweden, vorgelegt, die die Aktivitäten der politischen Akteure in einen größeren Zusammenhang darstellen kann, die über vorliegende rein biographische Arbeiten hinausgeht. Inhaltlich ist das Buch sehr zu empfehlen, leider handelt es sich bei dieser Veröffentlichung um eine des Peter Lang Verlags, der einmal mehr beweist, wie schludrig er mit seinen Publikationen umgeht. Für die Korrektur von Tippfehlern, dem Einfügen fehlender Wörter oder der Vereinheitlichung von Schreibweisen sollte der Verlag verantwortlich sein - und bei einem Preis von fast 80,-- DM kann die Käuferin, der Käufer einen solchen Einsatz eines Lektorats schon erwarten.